20.8.06

Vollmond in Bremerhaven

Nun war ich schon einige Wochen im Taxigeschäft als sogenannte "Ratte" tätig. So nennt man die Aushilfsfahrer im Taxigewerbe und sie sind von den festangestellten Taxifahrern nicht immer gern gesehen. Aber das störte mich nicht, ich hatte meinen momentanen Traumjob! Ich konnte jeden Abend das Taxi abholen und soviel oder sowenig fahren wie ich wollte. Der Eigentümer freute sich, wenn überhaupt nachts gefahren wurde, denn sonst stand bei ihm der Wagen nachts in der Garage. Und ich hatte schnell rausbekommen, dass es wesentlich spannender war, nachts Taxi zu fahren als tagsüber. Tagsüber fuhr man hauptsächlich die Leute von einem Arzt zum anderen und auch sonst war die Kundschaft nicht aufregend. Aber in der Nacht war alles viel aufregender. Es war auch noch nicht so gefährlich nachts zu fahren. Heute würde ich das nicht mehr machen. Es lag aber auch an der Unbekümmertheit meiner Jugend, dass ich keine Angst hatte und es als Abenteuer sah, nachts durch die Stadt zu fahren und Leute aus den verschiedensten Schichten kennenzulernen und zu beobachten. Und es war wirklich spannend! Was man da alles erleben konnte. Es war eine Schule des Lebens für mich. Wo konnte man sonst Menschen so hautnah erleben?

Am spannendsten war es immer, wenn Vollmond war. Das merkte man ganz schnell. Es war als spielten alle Leute verrückt. Die Fahrgäste waren nervös, aggressiv und nörgelten wegen jeder Kleinigkeit. Sofort wusste man, heute muss Vollmond sein und wenn man dann zum Himmel guckte bestätigte sich diese Annahme meistens auch sofort. So war es auch an diesem Tag als ich wieder meine Nachtschicht begann. Ich war guten Mutes und freute mich über die erste Tour, die nicht lange auf sich warten liess. Ich wurde zu einer Kneipe gerufen und ein junger Mann setzte sich zu mir in den Wagen. Er sah nicht unfreundlich aus, sagte aber weder Guten Abend noch Hallo, sondern nur: "Geradeaus". Ich wunderte mich, aber ich fuhr erst einmal los.
Ich war schon vorgewarnt worden von den Kollegen: Heute ist wieder Vollmond, da können wir wieder was erleben. Na ja und nun hatte ich so einen Kandidaten im Auto. Nach "Geradeaus" folgte: "Rechts rum" und danach wieder "Rechts" und dann noch einmal "Rechts". Ich hatte keine grosse Lust zum Diskutieren und so fuhr ich so, wie der Fahrgast es verlangte und auf einmal standen wir wieder vor der Kneipe, aus der er herausgekommen war. Der Fahrgast guckte mich freundlich an und sagte: "Und das war nur zur Probe". Er bezahlte, stieg aus und ging wieder in die gleiche Kneipe rein. Na ja, es war eben Vollmond und das war nur der Anfang.

Ein paar Touren später stieg ein Pärchen in den Wagen. Er setzte sich auf den Beifahrersitz, sie hinten auf den Rücksitz. Sie fuhren los und er schaute mich an und sagte immer wieder: "entzückend" und dann wieder "entzückend". Nach dem dritten "entzückend" drehte ich mich zu der Partnerin um und fragte: "Hat Ihr Mann das öfter? "Ja, ja sagte die Frau, bei Vollmond ist der immer so komisch, aber denken Sie sich nichts dabei, es gibt Schlimmeres". Na ja, wenn man es sich überlegte hatte die Frau Recht. Er war nicht frech geworden und wenn einer "entzückend" zu einem sagt, kann man damit leben. Zumindest in einer Vollmondnacht.

Der Clou in dieser Nacht stand aber noch bevor. Ich hatte ziemlich viel zu tun und auf der Rückfahrt von Langen nach Lehe wurde ich wieder zu einer Kneipe gerufen. Der neue Fahrgast war eine Frau und die war ziemlich angetrunken. Das war für mich nichts Aussergewöhnliches, damit hatte man als Taxifahrerin besonders nachts öfter zu tun, aber die Frau war ziemlich elegant angezogen und ich war verwundert, dass sie so betrunken war. Die arme Frau dachte ich, die hat heute ihren Moralischen, betrinkt sich und gibt ihr ganzes Haushaltsgeld dabei aus und morgen kommt der grosse Katzenjammer. Irgendwie hatte ich Mitleid mit der Frau und redete auf sie ein, dass es doch besser wäre, nach Hause zu fahren und nicht in die nächste Kneipe. Davon war die Frau aber nicht zu überzeugen, sie wollte mir aber etwas Gutes tun, weil ich mir doch ihre ganzen Probleme angehört hatte und drückte mir so DM 500,-- in die Hand mit der Bemerkung: "Sie sind so nett, sie sollen sich auch einen schönen Tag machen und ich gebe das Geld sowieso nur in der nächsten Kneipe aus". Diese Gefahr sah ich allerdings auch, aber ich wollte das Geld nicht annehmen. Doch die Frau bestand darauf und da ich mir ziemlich sicher war, dass das Geld sonst in der nächsten Kneipe blieb, steckte sie es erst einmal ein. Die Frau ging in die Kneipe und ich überlegte, was ich nun tun sollte. Dass ich das Geld nicht behalten würde, war mir ziemlich schnell klar, denn ich hatte immer noch das Gefühl, die Dame würde das Geld am nächsten Tag schmerzlich vermissen, denn eigentlich machte sie einen soliden Eindruck. Ich fuhr zur Taxi-Zentrale und gab das Geld dort ab. Ich erzählte von der Frau, hoffte, dass sie sich am nächsten Tag meldete und fuhr weiter meine Nachtschicht. Zwischendurch machte ich mit anderen Kollegen eine Kaffeepause und erzählte von dem Erlebnis mit den DM 500,--. Die hielten mich alle für verrückt. Wie kann man so blöd sein und das Geld abgeben. Die hätte doch sonst auch alles versoffen. Aber ich hätte das nicht gekonnt. Ich sah immer die Frau am nächsten Tag mit ihrem Katzenjammer vor sich.
Die Nachtschicht ging weiter und auf einmal bekam ich einen Ruf von der Zentrale, ich möchte doch bitte dort vorbeikommen. Als ich eintraf, sass dort ein aufgebrachter Ehemann, dessen Frau behauptete, eine Taxifahrerin hätte ihr DM 500,-- gestohlen. Gott sei Dank hatte ich aber das Geld in der Zentrale abgegeben und so konnte die Behauptung schnell widerlegt werden. Aber der Mann sagte auch, dass seine Frau schon lange eine Alkoholikerin ist, die immer wieder das ganze Geld vertrinken würde. So kann man sich täuschen, dachte ich noch und nachdem sich der Mann bedankt hatte, fuhr ich weiter in die Nacht hinaus und dachte: Was nun wohl noch kommt, ist ja Vollmond."

© Brigitte Ehlers 2010

19.8.06

Hallo Taxi,

Es war wieder soweit, Semesterferien! Ein Job musste gefunden werden und es sollte wie die anderen zuvor ein interessanter Job sein. Ganz normale Jobs waren nichts für mich, nein ein bisschen Nervenkitzel musste schon dabei sein. Hatte mein Vater mir nicht immer erzählt, wieviel Spass ihm das Taxifahren kurz nach dem Krieg gemacht hatte und was er dabei alles erlebt hatte. Und Autofahren machte mir schon immer Spass. Hatte ich doch schon im Teenager-Alter mit dem Wagen meines Vaters in der Wallachei üben dürfen und dabei viel Spass gehabt, aber auch einigen Ärger, weil ich meinen Freundinnen auch das Autofahren beibringen wollte. Aber davon später. Ja, Taxifahren, das war es. Nur wie kommt man schnell zu einem Taxi-Schein? Na ja, das kann ja nicht das schwierigste sein. Gesagt, getan, auf zum Strassenverkehrsamt und fragen, wie man zu so einem Schein kommt. "Ja, junge Dame, das dauert mindestens 6 Monate bis Sie so einen Schein bekommen können und vorher müssen Sie sich auch noch gründlich auf die Ortskenntnisprüfung vorbereiten." Nein, das kam für mich nicht in Frage! "In sechs Monaten brauche ich den Job nicht mehr, das ist zu spät", antwortete ich dem netten Herrn von der Dienststelle. "Wer ist denn hier zuständig für diese Prüfungen?"
"Ja, ich" sagte der Herr. "Nun dann könnten Sie mich doch auch jetzt gleich prüfen und dann könnte ich den Job doch noch in diesen Ferien machen". Ich sagte das eigentlich nur im Spass, aber der Mann war so überrascht, dass er kurz überlegte und dann sagte: Ja, das könnte ich!
Es schien, als würde er stolz über seine Befugnisse sein. Er war der Chef und ihm gefiel wie diese junge Dame sich über alle Richtlinien wegsetzte und tat als sei es das Selbstverständlichste der Welt mal eben an einem Tag den Taxischein zu erwerben. Soviel Unbekümmertheit war er nicht gewohnt und ihm gefiel es. "Ja, dann prüfen Sie mich doch mal eben", sagte ich, obwohl ich natürlich völlig unvorbereitet war. Aber nun hatte ich den Stein ins Rollen gebracht und nun musste ich da durch, wie auch immer. Prüfungen waren noch nie mein Ding, aber wenn schon, dann war plötzlich und unvorbereitet immer noch besser als anders. Man würde sehen, was dabei rauskam. Und zu meiner grossen Überraschung sagte der Herr vom Strassenverkehrsamt: "Ja, dann gehen wir es an und ich prüfe Sie jetzt!" Oh Mann, auf was hatte ich mich da eingelassen? Das konnte ja eigentlich nur schief gehen, aber wie gesagt, erst die grosse Klappe haben und nun klein beigeben. Nein, das war nicht meine Art. Und Prüfungen nicht bestehen, das kannte ich auch schon, es konnte also gar nicht so schlimm werden. Der Mann machte ein wichtiges Gesicht und schon ging es los. "Fahren Sie den kürzesten Weg von der Neuen Strasse zur Veerenholzstrasse". Oh oh, das war ganz schön schwer, aber die Neue Strasse kannte ich, weil ich aus Lehe kam und in der Veerenholzstrasse kannte ich auch jemanden der dort wohnte. Glück gehabt, so ein Zufall, aber konnte es so weitergehen? Es ging so weiter und ich hatte unwahrscheinliches Glück. Ein paar Fragen beantwortete ich falsch, aber man konnte sich einige Fehler erlauben und der Rest war richtig beantwortet. Der Prüfungsmann war sichtlich beeindruckt und konnte es selbst wohl nicht fassen, als er sagte: "Ja, Sie haben die Prüfung bestanden und wenn die weiteren Formalitäten erledigt sind, können Sie bald Taxi fahren." Ich jubelte vor Freude und bedankte mich überschwenglich. Na ja und das bisschen was an weiteren Formalitäten noch fehlte, könnte ja auch nicht so schwer zu besorgen sein. Da war die amtsärztliche Untersuchung und das polizeiliche Führungszeugnis und die Auskunft aus Flensburg, ob irgendetwas gegen mich vorlag. Ich machte sich gleich auf den Weg zum Gesundheitsamt und erfuhr, dass der zuständige Arzt noch 3 Wochen in Urlaub war. Aber was für ein unglaublicher Zufall, die Sekretärin des Arztes war die Mutter einer ehemaligen Klassenkameradin und die war sofort bereit zu helfen und besorgte einen Termin am nächsten Tag bei der zuständigen Vertretung. Das pol. Führungszeugnis war auch schnell beantragt und die Auskunft aus Flensburg konnte man doch auch telegrafisch anfordern. Es flutschte nur so und als wenn es nicht anders sein sollte, ich hatte nach 2 Tagen den Taxischein in meiner Hand und der aufregende Ferienjob konnte los gehen. Wie sagt man doch immer: Wo ein Wille, da ein Weg und dieser Spruch stimmte, jedenfalls sah ich es von nun an so.

© Brigitte Ehlers 2010