24.10.10

Der Polizist auf dem Ochsen

erzählt von meinem Vater Harry Ehlers, geb. 1921 in Wesermünde:


Es muss so um den Jahreswechsel 1945/46 gewesen sein als ich aus dem Krieg nach Hause
in die Hafenstrasse kam und mein Elternhaus zerbombt und ziemlich zerstört vorfand. Nun hiess es anpacken und den Wiederaufbau vornehmen, da man ja von irgendwas leben musste.
Ich lieh mir damals gegen Bezahlung und das war durchaus usus einige Strafgefangene aus dem Gefängnis in der Nordstraße aus, die mir beim Wegräumen des Trümmerschutts helfen sollten. Und wir räumten und räumten bis es eines Tages wieder einigermassen hergerichtet war und ich eine Wiedereröffnung des Fleischereigeschäftes meiner Eltern ins Auge fassen konnte. Vorher musste ich noch als gelernter Fleischermeister ein Gewerbe anmelden und dann sollte es losgehen. Aber womit fragte ich mich. Als Zuteilung für den Anfang bekam ich nur ein Schwein und ein Viertel Rind genehmigt. Das langte nicht hin und nicht her für die Herstellung und den Verkauf von Wurst- und Fleischwaren. Also, es blieb nur eine Lösung und die war, ich musste irgendwoher schwarz Vieh beschaffen. Da ich noch kein Auto hatte, blieb nur das Motorrad und so fuhr ich über Land, um irgendwo Vieh aufzutreiben. In Lintig
hatte ich dann endlich Glück und erstand bei einem Bauern einen Ochsen. Da das Ganze still und heimlich von statten gehen musste, wurde der Ochse nachts in der Scheune geschlachtet und dort auch zum Auskühlen aufgehängt. Am folgenden Abend fuhr ich dann mit einem geliehenen Auto von der Militärregierung, zu der ich einen guten Draht hatte, nach Lintig um das Tier, dass wir natürlich vorher zerlegten, abzuholen. Als wir das Fleisch dann verstauen
wollten, merkten wir, es passte nicht alles in den Kofferraum und so wurde nicht lange gefackelt und ein Teil des Fleisches landete unter der hinteren Rückbank. Das Polster
wurde sorgsam auf das mit einer Decke umwickelte Fleisch gelegt und so musste es gehen.

Meine Frau, die an der ganzen Aktion beteiligt war, hatte den Auftrag, vorneweg mit dem Motorrad zu fahren, um nach Polizeikontrollen, die damals überall unverhofft stattfanden Ausschau zu halten und uns dann gegebenenfalls zu warnen. Aber wie der Teufel es will, die Vorhut half nichts und plötzlich wurden wir von einer Polizeistreife angehalten.

Was nun, dachte ich, wenn die rauskriegen, dass Du schwarz geschlachtet hast und auch noch mit einem amerikansichen Wagen das Fleisch transportierst, dann hätten sie mich gleich einkassiert. Und da ich mit einem amerikanischen Wagen unterwegs war, blieb mir nichts anderes übrig als einen Amerikaner vorzutäuschen. Ich holte mein bestes Englisch raus und sprach mit dem Beamten, wobei ich mir sicher war, dass der nur Bahnhof verstand. Aber wenn der Wurm irgendwo drin ist, dann bleibt er auch drin und so fragte mich der deutsche Polizeibeamte mit ein paar Brocken Englisch, ob ich nicht seinen Kollegen mit in die Stadt nehmen könnte. Mir blieb nur „Yes“ zu sagen und ihn hinten einsteigen zu lassen. Von der Minute an sprach ich kein einziges Wort mehr und betete nur, dass er nicht merkte, dass er auf einem schwarz geschlachteten Ochsen in einem amerikanischen Wagen mit einem deutschen Fahrer saß. Nach ca. 20 Minuten, ich hatte allerdings das Gefühl es waren Stunden, kamen wir in Lehe in der Spadener Strasse an, als er mich bat anzuhalten, um auszusteigen.

Ich glaubte damals er müsste es beim Aussteigen gehört haben, was für ein grosser Stein mir
vom Herzen plumpste, als er endlich aus dem Wagen war. Ob er es gemerkt hat, dass irgend
etwas nicht stimmte, habe ich nie erfahren. Vielleicht war er aber ebenso froh, schnell nach Hause gekommen zu sein, wie ich, dass ich nicht im Gefängnis gelandet bin, denn das wäre
der Preis der ganzen Geschichte gewesen.

©Brigitte Ehlers 2010

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